Demokratie MOOC
Beispiel Frauenwahlrecht

Beispiel Frauenwahlrecht

100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich.

 

Arbeitsunterlage: Treibende Kräfte der Demokratisierung

Modul 4: Geschichte der Demokratie – Kampf um Demokratie

Reflexionsfragen

Beantworten Sie folgende Reflexionsfragen für sich:

  • Fallen Ihnen gesellschaftlichen Gruppen ein, die sich früh für die Demokratie eingesetzt haben?
  • Wo und von wem wird heute weltweit für die Demokratisierung gekämpft?

Die Ausweitung demokratischer Rechte im 19. und frühen 20. Jahrhundert war maßgeblich von drei Gruppen geprägt, die hier kurz vorgestellt werden sollen: Bürgertum, ArbeiterInnen und Frauen. Immer wieder kam es zu Kooperationen und Überschneidungen, so kämpften ArbeiterInnen und BürgerInnen 1848 in Wien (wenn auch nur kurz) gemeinsam für Verfassung und Grundrechte; Vertreter und Vertreterinnen der Arbeiterbewegung setzten sich für die Ziele der Frauenbewegung, im Besonderen das Frauenwahlrecht, ein.

Die österreichische ArbeiterInnenbewegung

Durch die Ausbildung der Industrie in Österreich ab den 1830er Jahren begann sich eine lohnabhängige Arbeiterschaft zu entwickeln. Die Lebensbedingungen dieser ArbeiterInnen, die häufig aus ländlichen Gebieten in die Städte zogen, waren meistens schrecklich und von beengten Wohnverhältnissen und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen geprägt.

Die Revolution von 1848 gab den Anstoß zur Politisierung, wie in Lektion2 angesprochen kam es in Wien zeitweilig zur Zusammenarbeit von ArbeiterInnen, BürgerInnen und Studenten – im Juni 1848 wurde der „Erste Allgemeine Arbeiter-Verein“ gegründet.

Nach Niederschlagung der Revolution folgte mit der Restauration wieder eine Phase autoritärer Herrschaft, die Staatsgrundgesetze von 1867 bedeuteten jedoch schließlich die Festschreibung wesentlicher Grundrechte – für die ArbeiterInnenbewegung war besonders das Vereins- und Versammlungsrecht bedeutend, nun konnten Arbeiterbildungsvereine gegründet werden, die die Entstehung eines politischen Klassenbewusstseins förderten.

Die Ideen der Bewegung in Deutschland, etwa jene von Ferdinand Lasalle, der forderte, dass der Staat nicht von einer privilegierten Minderheit, sondern der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden sollte, beeinflussten die österreichische

Entwicklung. 1870 wurde in Wiener Neustadt der Verein „Gleichheit“ gegründet, im selben Jahr konnten auf Basis des nun gültigen Koalitionsgesetzes, das Vereinigungen von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen erlaubte, erste Gewerkschaften gebildet werden.

Mitte der 1870er Jahre folgte eine neue Phase der Repression, viele Arbeitervereine wurden verboten. Die Bewegung, in der verschiedene Strömungen vertreten waren, konnte schließlich v. a. durch Victor Adler geeint werden. Adler, selbst aus einer bürgerlichen Familie stammend, hatte als Armenarzt die Lebensumstände der ArbeiterInnen kennengelernt und u.a. im populären Artikel „Die Lage der Ziegelarbeiter“ plastisch geschildert – ArbeiterInnen der Wienerberger Ziegelfabrik mussten oft bis zu 16 Stunden pro Tag arbeiten und unter furchtbaren Wohn- und Hygienebedingungen leben, als Bezahlung bekamen sie Marken, die nur in bestimmten Betrieben rund um das Werk gültig waren.


Abbildung 1: Victor Adler, ca. 1880

Mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP; Vorläuferin der heutigen SPÖ) entstand die moderne Massenpartei der Arbeiterbewegung. Sie wurde am Parteitag im niederösterreichischen Hainfeld um den Jahreswechsel 1888/89 gegründet und im Lauf der 1890er Jahre organisatorisch weiterentwickelt; 1892 folgte die Gründung der Arbeiter-Zeitung, die eine wichtige Rolle für das Selbstverständnis der ArbeiterInnen spielte. Sie kämpfte für gleiche Bildungschancen, gegen die Ausbeutung von Frauen und vor allem für das Wahlrecht. Demokratisierung und Gleichheit waren von Beginn an zentrales Ziel der SDAP: „Weder Besitz noch gesellschaftlicher Status oder Geschlecht sollten darüber entscheiden, wer sich am politischen Prozess beteiligen durfte.“1

1Günther Sandner: Sozialdemokratie in Österreich. Von den Anfängen der Arbeiterbewegung zur modernen Sozialdemokratie. Hg. vom Karl-Renner-Institut, Wien 2012, S. 20.

1907 wurde die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts schließlich erreicht. Bei den Reichstagswahlen von 1907 erreichte die SDAP 87 von 516 Sitzen, in Wien sogar 38% der Stimmen. Die neuen Voraussetzungen machten es nötig, die Parteiorganisation an die Anforderungen einer Massenpartei anzupassen, was besonders in Wien gelang, wo die SDAP bei der Reichstagswahl 1911 43% erreichte.

Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) kam es aufgrund der schlechten Versorgungslage mit Lebensmitteln immer wieder zu Streiks und Krawallen. Ab 1916 unterstützte die SDAP die Forderungen der Streikenden. Gegen Ende des Krieges gewann die weiter links stehende Bewegung der Arbeiterund Soldatenräte kurzzeitig an Bedeutung, die Sozialdemokratie konnte sie in Österreich aber, anders als in Deutschland, integrieren, sie stieß in den ersten Monaten nach Ende des Kriegs auf wenig Zustimmung aus der Bevölkerung.

Bei denWahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919erreichte die SDAP mit knapp 41% die meisten Stimmen. Sie bildete bis 1920 eine Koalition mit den Christlichsozialen, danach war sie in der Ersten Republik nicht mehr Teil einer Regierung. In den ersten Jahren nach Kriegsende konnten aber wichtige Gesetze im Sozialbereich verabschiedet werden, u. a. der Achtstundentag, die Arbeitslosenunterstützung, das Verbot der Nachtarbeit von Frauen und Jugendlichen und die Einrichtung von Betriebsräten. Nach Etablierung der austrofaschistischen Diktatur unter Engelbert Dollfuß und dem Bürgerkrieg im Februar 1934 wurde die SDAP verboten und arbeitete bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der Illegalität weiter. Im April 1945 wurde sie unter dem Namen Sozialistische Partei Österreichs/SPÖ (ab 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs) wiedergegründet.

Vertiefungsmöglichkeit

Günther Sandner: Sozialdemokratie in Österreich. Von den Anfängen der Arbeiterbewegung zur modernen Sozialdemokratie. Hg. vom Karl-Renner-Institut, Wien 2012.
https://homepage.univie.ac.at/guenther.sandner/?q=de/node/81

Das Bürgertum

Das Bürgertum – zu dem UnternehmerInnen, HändlerInnen und das Bildungsbürgertum, also etwa Lehrende an Universitäten, gehörten – war im 19. Jahrhundert eine maßgebliche Kraft der Demokratisierung; die Revolutionen von 1848 werden auch die „bürgerlichen Revolutionen“ genannt, da besonders die (städtischen) BürgerInnen die Kämpfe um Ausweitung der Mitbestimmung vorantrieben.

Im Zusammenhang mit den schon erwähnten Ideen der Aufklärung von grundlegenden Rechten, die allen Menschen zustehen sollten, entwickelte sich das

Wunschbild einer liberalen, säkularisierten Gesellschaft, in der freie, vernunftbegabte Menschen friedlich zusammenleben. Dazu sollten der freie Markt, eine informierte Öffentlichkeit, Rechtstaat und Parlament beitragen. Nicht die Geburt in einen bestimmten Stand – etwa den Adel – sollte für den Lebensverlauf entscheidend sein, sondern Leistung und Bildung.

Das Bürgertum versuchte zunehmend, die (absolutistische) Monarchie und die Herrschaft des Adels einzuschränken und politische und rechtliche Garantien für sich selbst zu erkämpfen. Dabei ging es nicht vorrangig um die Schaffung einer egalitären, inklusiven Gesellschaft oder einer repräsentativen Demokratie, sondern um die Sicherstellung bestimmter Privilegien für diese kleine und vorwiegend männliche Schicht von wohlhabenden Bürgern. So wurden etwa in Großbritannien schrittweise grundlegende Bürgerrechte und parlamentarische Vertretung erkämpft („Bill of Rights“ von 1689, siehe Lektion 1).

Erstmals wurden allgemeine Menschenrechte in den USA (1776) und Frankreich (1789) verkündet. Immer breitere Schichten der städtischen Bürgerschaft wollten ihre Interessen politisch vertreten (lassen). Der Leitspruch der BürgerInnen aus den damaligen britischen Kolonien in Nordamerika, „No taxation without representation“ (Keine Besteuerung ohne politische Vertretung), brachte deutlich die gewandelte Wahrnehmung der BürgerInnen auf sich selbst und ihr Verhältnis zur Regierung zum Ausdruck.

Stück für Stück wurden Rechte verwirklicht; die wichtige Entwicklung für die Demokratie bestand in der schrittweisen Erweiterung derjenigen Gesellschaftsgruppen, die als Bürger (und später Bürgerinnen) galten. Bürgerliche Rechte (vor allem Garantien der körperlichen Unversehrtheit und Begrenzung der staatlichen Willkür) wurden seit dem Spätmittelalter schrittweise gewährt, wobei anfangs der Kreis derjenigen, die diese Rechte genossen, auf eine kleine Schicht aus Adel und gehobenem Bürgertum begrenzt war.

Soziale Rechte (Ausbau des Bildungswesens, wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen) konnten im Zug der Industrialisierung und dem Erstarken der ArbeiterInnenbewegung im Lauf des 19. Jahrhunderts erkämpft werden. Im 19. und 20. Jahrhunderts wurden Forderungen des Bürgertums also nach und nach umgesetzt, absolutistische Herrschaft beschränkt, Verfassungen erlassen und dasWahlrecht erweitert. Die gesellschaftliche Realität schloss lange allerdings viele vom Genuss der errungenen Freiheiten aus, v.a. ArbeiterInnen, die weder über Besitz und Bildung verfügten – und die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen.

Die Frauenbewegung

Die Frauenbewegung wendet sich gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen. Im deutschen Sprachraum ist häufig von erster (19. und frühes 20. Jahrhundert – Hauptziel war dabei das Frauenwahlrecht) und neuer Frauenbewegung (seit den 1960er Jahren) die Rede.

Wie im Zusammenhang mit dem Wahlrecht angeführt, wurden Frauen im 19. Jahrhundert mehr und mehr auf die Sphäre des Häuslichen und Privaten beschränkt, ihnen wurde abgesprochen, die Voraussetzungen für politische Betätigung zu besitzen. Dagegen wendeten sich Frauenrechtlerinnen vehement. Hier sollen daher einige wichtige Proponentinnen der Frauenbewegung vorgestellt werden.

Eine der frühesten und wichtigsten Vertreterinnen des Kampfes für die Gleichberechtigung von Frauen in Österreich ist Karoline Perin-Gradenstein (1806–1888). Sie engagierte sich während der Revolution von 1848 für die Rechte von Frauen. Die revolutionäre Bewegung war von Männern dominiert, Frauenrechte stellten noch kein breites Anliegen dar, obwohl – oder weil – es Frauen war noch bis 1918 verboten war, einer politischen Vereinigung beizutreten.

Eine politische Versammlung von ca. 150 Frauen im Wiener Volksgarten wurde im August 1848 von Männern gestört und musste unterbrochen werden; die Gründung des „Wiener demokratischen Frauenvereins“ konnte an diesem Tag dennoch vollzogen werden. Perin-Gradenstein wurde Präsidentin des Vereins, der zwar nur zwei Monate bestand, aber als erster politischer Frauenverein in Österreich große Bedeutung hat. Zu den Zielen gehörten die politische Gleichberechtigung für Frauen, bessere Bildung für alle Frauen und Mädchen und die Unterstützung der revolutionären Anliegen.

Marianne Hainisch (1839–1936, siehe Abbildung 2) gilt als die Begründerin der Frauenbewegung in Österreich, sie setzte sich vor allem für Bildung von Frauen ein. Schon 1870 forderte sie die Errichtung von Mädchengymnasien und die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium. Später engagierte sich Hainisch auch für das Frauenstimmrecht und die Reformierung des Ehe- und Familienrechts. 1902 gründete sie den Bund Österreichischer Frauenvereine (BÖF), 1924 initiierte sie – nach amerikanischem Vorbild – die Einführung des Muttertags in Österreich.

In England setzte sich Mary Wollstonecraft (1759–1797) früh für Frauenrechte ein. Sie war Lehrerin und Philosophin und veröffentlichte 1792 „Ein Plädoyer für die Rechte der Frau“, in dem sie die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Selbständigkeit und Unabhängigkeit für Frauen forderte. Neben der Umgestaltung des Geschlechterverhältnisses war ihr die Bildung für Frauen ein zentrales Anliegen, sie forderte gleiche Bildung für Jungen und Mädchen.

Anfang des 20. Jahrhunderts war besonders die in Lektion 2 genannte Emmeline Pankhurst (1858–1928) wesentlich für die Entwicklung der englischen Frauenbewegung. 1918 erlangten Frauen über 30 in Großbritannien das Wahlrecht, erst 1928 wurde das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen eingeführt.


Abbildung 2: Marianne Hainisch, ca. 1872

Die deutsche sozialistische Politikerin Clara Zetkin (1857–1933) war Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin. Auch sie kämpfte für das Frauenwahlrecht sowie das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit und gewerkschaftliche Organisierung. Zetkin war eine bedeutende Kraft bei der Gründung der Sozialistischen Internationale, sie war eng mit der deutschen Politikerin Rosa Luxemburg befreundet.

Einer der politischen Schwerpunkte von Clara Zetkin war der Kampf für Frauenrechte, insbesondere für das Frauenwahlrecht, die freie Berufswahl und Arbeitsschutzgesetze. Sie publiziert zahlreiche populäre Aufsätze – unter anderem in der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ – zu frauenpolitischen Anliegen. 1910 regte Zetkin die Gründung den Internationalen Frauentags an, der 1911 erstmals gefeiert wurde. Seit 1921 findet er jährlich am 8. März statt.

Vertiefungsmöglichkeit

Zum Frauenwahlrecht werde diese oder ähnliche Fragen gestellt:

Welche Aussagen zum Frauenwahlrecht treffen zu?

Wählen Sie eine oder mehrere Antworten

   a. Die extremsten Strategien wenden österreichische FrauenrechtlerInnen an
   b. Das Frauenwahlrecht wurde nach der Einführung manchmal wieder zurückgenommen
   c. Sowohl ArbeiterInnen als auch BürgerInnen kämpften für das Frauenwahlrecht
   d. Die Frauenwahlrechtsbewegung war in vielen Ländern aktiv